Rudolf Steiners Kindheit war geprägt von der ihn umgebenden Naturschönheit, aber auch der beginnenden Technisierung. Diese Umwelt beobachtete er mit großer Aufmerksamkeit. Zugleich war schon dem Kind ein sehr reiches und kraftvolles inneres Seelenerleben eigen, das auch Wahrnehmungen rein geistiger Vorgänge umfasste. Während seines Studium und in der darauf folgenden Tätigkeit als Herausgeber, Schriftsteller und Philosoph strebte er nach einer Vermittlung der herrschenden, von der Naturwissenschaft geprägten Weltanschauung und seiner übersinnlichen Erfahrungswelt. Aus diesem Streben hat er die Anthroposophie entwickelt, die dann auch in vielen Lebensfeldern, wie der Medizin, der Pädagogik, der Landwirtschaft und den Künsten, praktisch wurde.
1861 - 1879 | Österreich | Kindheit und Jugend mit mehreren Wohnorten in Niederösterrereich |
1879 - 1890 | Wien | Studium; später Hauslehrer, dann Schriftsteller und Herausgeber |
1890 - 1897 | Weimar | Tätigkeit am Goethe-Schiller-Archiv; Herausgabe Goethes naturwissenschaftlicher Schriften |
1897 - 1913 | Berlin | Tätigkeit in verschiedenen Bereichen des Kulturlebens; ab 1901 in der Theosophischen Gesellschaft; Begründung der Anthroposophischen Gesellschaft im Jahr 1913 |
1914 - 1925 | Dornach | Bau des Goetheanums als Zentrum der Anthroposophischen Gesellschaft. Rudolf Steiner wird europaweit als Vortragsredner tätig. Durch ihn angeregt, wird die Anthroposophie in zahlreichen Lebensfeldern lebenspraktisch. |
Steiners Vater war Bahnhofsvorsteher an immer wieder wechselnden Bahnstationen. Dadurch änderte sich der Wohnort mehrfach. Rudolf war das älteste von drei Geschwistern, er hatte eine Schwester und einen Bruder. Das Leben war stark von der Berufstätigkeit des Vaters und dem Takt der ankommenden und abfahrenden Züge geprägt.
Im Alter von etwa sieben Jahren erlebte er auf geistige Weise den Tode seiner Tante, die weit entfernt gelebt hatte. Er konnte dieses Erlebnis nicht mit den Menschen seiner Umgebung teilen, so war es für ihn seit dieser Zeit Realität, seelisch in zwei Welten zu leben.
Schon als Kind hatte er einen großen Drang, die Welt zu verstehen. Der Unterricht in der Volksschule hatte ihn kaum fördern können, aber immer wieder erhielt er Anregungen von Freunden der Familie oder von Lehrern, die sein großes Interesse und seine Begabungen erkannten. An der Geometrie erlebte er das Glück, rein im Geistigen etwas erfassen zu können; er erfuhr das wie eine Rechtfertigung für seine persönlichen geistigen Erfahrungen.
1861 | 27. Februar | Geburt Rudolf Steiners in Kraljevec | 1872 | bis 1879 | Besuch des Realgymnasiums in Wiener Neustadt bis zum Abitur |
Rudolf Steiner schrieb sich an der Wiener Technischen Hochschule als Student für das Lehramt in den Fächern Mathematik, Naturgeschichte und Chemie ein. Daneben besuchte er aber auch Vorlesungen über Literatur bei Karl Julius Schröer und philosophische Vorlesungen.
Er rang selber mit Erkenntnisfragen, die sich aus der Spannung zwischen dem Erlebnis der geistigen Realität des eigenen Denkens und dem schattenhaften Denken, das er an der Philosophie erlebte, ergaben. Aber es machte einen großen Eindruck auf ihn, die Philosophie aus dem Munde von Philosophen selbst zu hören und nicht bloß aus Büchern kennen zu lernen.
In der Begegnung mit dem Kräutersammler Felix Koguzki lernte er einen Menschen kennnen, der – äußerlich ungebildet – einen selbstverständlichen Zugang zur geistigen Welt hatte: Mit ihm konnte man über die geistige Welt sprechen wie mit jemandem, der Erfahrung darin hatte.
Von Karl Julius Schröer empfohlen, wird er 1882 mit der Herausgabe der naturwissenschaftlichen Schriften in Kürschners Deutsche National-Literatur beauftragt und beendete 1883 das Studium an der Hochschule. Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, nahm Rudolf Steiner aber außerdem eine Stelle als Hauslehrer im Haus des Fabrikanten Specht an. Von den vier Söhnen des Hauses war ihm vor allem Otto, an dessen Bildungsfähigkeit Zweifel bestanden, in besondere Obhut gegeben. Rudolf Steiner gelang es, ihn so zu fördern, dass er dem normalen Gymnasialunterricht folgen konnte. Für Rudolf Steiner war diese Erziehungsaufgabe sein eigentliches Studium der Psychologie und Physiologie und wichtige Erfahrungsgrundlage für die spätere Ausarbeitung der Pädagogik der Waldorfschule.
Rudolf Steiner widmete sich auch dem geselligen Leben Wiens. 1886 wurde er in den Literatenkreis um Marie Eugenie delle Grazie eingeladen, was ihm die persönliche Bekanntschaft mit zahlreichen Intellektuellen und philosophisch gebildeten Persönlichkeiten der Wiener Gesellschaft ermöglichte. 1890 begnete er der Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Rosa Mayreder.
1879 | bis 1883 | Student an der Wiener Technischen Hochschule |
1894 | Tätigkeit als Hauslehrer | |
1882 | bis 1896 | Herausgabe von Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften in Kürschners Deutsche National-Literatur |
1886 | Das Buch Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung erscheint (GA 2) |
Die Arbeit im Goethe-und-Schiller-Archiv bot Rudolf Steiner zunächst interessante Möglichkeiten zu Entdeckungen an den Originaldokumenten. Mit der Zeit erstarrte die Arbeit aber zu einer rein philologischen Detailarbeit, die ihm sehr mühsam wurde. Daneben trieb er seine eigenen Themen voran. Er schrieb seine Doktorarbeit, mit der er an der Universität zu Rostock zum Doktor der Philosophie promovierte, und verfasste sein philosophisches Hauptwerk Die Philosophie der Freiheit. In diese Zeit fiel auch seine Auseinandersetzung mit dem Werk Nietzsches, die mit dem Erscheinen des Buches Friedrich Nietzsche, ein Kämpfer gegen seine Zeit noch nicht abgeschlossen war. Noch intensiver als in Wien nahm er am geselligen Leben teil. In seinen Lebenserinnerungen schildert er viele dieser Begegnungen. Die Schilderungen geben einen Eindruck davon, wie intensiv Rudolf Steiner sich mit den einzelnen Menschen beschäftigt hat, wie sehr er sich für jeden einzelnen interessiert hat. Mit dem Erscheinen von Goethes Weltanschaung schloss Rudolf Steiner die Phase der Goethestudien ab.
1890 | bis 1896 | Freier Mitarbeiter am Goethe-und-Schiller-Archiv Herausgabe der naturwissenschaftlichen Schriften Goethes in der Sophien-Ausgabe |
1891 | Promotion in Rostock als Doktor der Philosophie bei Prof. Heinrich von Stein, mit dem Thema: Die Grundfrage der Erkenntnistheorie mit besonderer Rücksicht auf Fichtes Wissenschaftslehre | |
1894 | Rudolf Steiners philosophisches Hauptwerk, Die Philosophie der Freiheit (GA 4), erscheint. | |
1897 | Goethes Weltanschauung (GA 6) erscheint |
1897 zog Rudolf Steiner nach Berlin und übernahm zusammen mit Erich von Hartleben die Herausgabe des Magazins für Literatur und später auch der Dramaturgischen Blätter. Er betätigt sich nicht nur als Herausgeber; als überaus fleißiger Redakteur schrieb er vorwiegend über literarische Themen und Theaterkritiken, nahm aber auch zu politischen Themen dezidiert Stellung.
Etwas später lernte Ludwig Jacobowski kennen und wurde Mitglied im Kreis der Kommenden und im Giordano Bruno-Bund. 1899 übernahm er eine Lehrtätigkeit an der von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gegründeten Arbeiterbildungsschule.
Im Jahr 1900 ergeben sich einige Änderungen. Schon länger beschäftigte Rudolf Steiner sich mit Goethes Märchen. Im vorangegangenen Jahr hatte er darüber einen Artikel im Magazin veröffentlicht. Als er nun überraschend in die Theosophische Bibliothek im Hause des Grafen und der Gräfin Brockdorff zu einem Vortrag eingeladen wird, bemerkt er bei einigen Zuhörern ein echtes Interesse für die geistigen Welt: Ich schlug daher, als man mich aufforderte, einen zweiten Vortrag zu halten, das Thema vor: «Goethes geheime Offenbarung». Und in diesem Vortrag wurde ich in Anknüpfung an das Märchen ganz esoterisch. Es war ein wichtiges Erlebnis für mich, in Worten, die aus der Geistwelt heraus geprägt waren, sprechen zu können, ...
Das war der Anfang einer sich nun immer weiter ausdehnenden Tätigkeit im theosophischen Zusammenhang. Marie von Sivers wurde bald seine wichtigste Gesprächspartnerin und Mitarbeiterin.
Rudolf Steiner versuchte aber auch den Brückenschlag. Er setzte seine anderen Tätigkeiten nicht nur fort, sondern hielt im Giordano Bruno-Bund am 8. Okt. einen öffentlichen Vortrag über Monismus und Theosophie und sprach auch im Kreis der Kommenden über Anthroposophie.
Damit begann eine intensive Vortragstätigkeit, zunächst in Berlin, die ab 1904/1905 immer mehr über Berlin hinausging und ab 1907/08 auch das Ausland umfasste.
Die Räume für den Theosophischen Kongress zu Pfingsten 1907 in München wurden nach Angaben von Rudolf Steiner künstlerisch ausgestattet.
Dies war der Beginn eines künstlerischen Prozesses, der sich dann auf den folgenden Theosophischen Kongressen in München fortgesetzte. 1909 wurde zunächst ein Drama von Schouré aufgeführt, ab 1910 dann die aktuell für diese Aufführung von Rudolf Steiner verfassten Mysteriendramen
. Im Zusammenhang mit den Inszenierungen gab er Anregungen für die Rezitationskunst und die Kulissenmalerei. 1912 inaugurierte er die Eurythmie als neue Bewegungskunst durch einen ersten Kurs für die junge
Lory Smits, spätere Maier-Smits. Schon am 28. August 1913 erfolgte die erste Aufführung in München.
Aber auch die Reise- und Vortragsaktivitäten Rudolf Steiners nahmen einen sehr großen Umfang an, die geographische Ausdehnung der Reisen nahm zu und reichte von Palermo im Süden bis nach Bergen (Norwegen) im Norden und umfasste auch die Länder Frankreich, die Niederlande und England. Einen Höhepunkt erreichte die Reisetätigkeit im Jahr 1913, durch den Ausbruch des Krieges waren die Reisemöglichkeiten danach eingeschränkt.
In den Jahren 1917 bis 1919 entwickelte Rudolf Steiner die Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus in enger Auseinandersetzung mit den Wirren und Suchbewegungen der Nachkriegszeit.
Die Gründung der ersten Waldorfschule in Stuttgart sah Rudolf Steiner in engem Zusammenhang mit der Idee der sozialen Dreigliederung.
1910 | bis 1913 | In München werden die vier Mysteriendramen (GA 14) im Rahmen der jährlichen Sommerkongresse uraufgeführt |
1912 | 16 bis 24. Sept. | Erster Eurythmiekurs für Lory Smits |
1913 | 2./3. Februar | Konstituierung der Anthroposophischen Gesellschaft |
1913 | Vortragsreisen nach Holland, Frankreich und England | |
1914 | 24. Dezember | Eheschließung mit Marie von Sivers |
1917 | bis 1919 | Soziale Dreigliederungsbewegung |
1919 | Gründung der Waldorfschule in Stuttgart |
Zunächst war geplant, aus den Sommerkongressen herauswachsend, in München einen Bau zu errichten, der einen angemessenen Rahmen für die künstlerischen Aufführungen geben würde. Nachdem keine Genehmigung für den Bau erwirkt werden konnte, wurde das Angebot, den Bau auf einem Grundstück in Dornach bei Basel in der Schweiz zu errichten, angenommen. Obwohl das einen großen Eingriff - Verlegung des Schwerpunktes von Deutschland in die Schweiz, von der Stadt in eine naturnahe Stadtrandlage - bedeutete, wurden sehr schnell Baupläne gemacht und es wurde mit der Realisierung begonnen. Wäre die Entscheidung nur wenige Monate später getroffen worden, wäre eine Umsetzung wegen des Weltkrieges wohl nicht mehr möglich gewesen. Damit konzentrierte sich die anthroposophische Arbeit und das Leben Rudolf Steiners nun mehr und mehr in Dornach. Durch die Bautätigkeit verstärkte sich der künstlerische Impuls. Zahlreiche Künstler kamen nach Dornach, um bei den künstlerischen Arbeiten (Schnitzen, Malerei, farbige Glasfenster) zu helfen. Auch Rudolf Steiner selbst wurde in verstärktem Umfang künstlerisch tätig.
Obwohl das Elternhaus Rudolf Steiners nicht religiös geprägt war, machten die kultischen Formen der katholischen Messe schon als Kind einen großen Eindruck auf ihn. Als eine Gruppe von Theologen dann 1920 mit der Frage nach einer religiösen Erneuerung an Rudolf Steiner herantrat, nahm er dieses Anliegen gerne und mit großem Engagement auf.
So konnte 1922 die
Christengemeinschaft als Bewegung für religiöse Erneuerung begründet werden.
In der Silvesternacht 1922 auf 1923 wurde das Goetheanum durch Brandstiftung vernichtet. Dieses Ereignis bedeutete einen dramatischen Einschnitt im Leben Rudolf Steiners und der anthroposophischen Bewegung. Rudolf Steiner setzte seine Arbeit ohne Unterbrechung fort und ging auch bald an die Planung eines neuen Goetheanumbaues. Es war keine Frage, dass der erste Bau nicht wiederholt werden konnte. Eine große Zahl von Menschen hatten über 10 Jahre an dessen Entstehung mitgewirkt, das Baugeschehen war ein Gesamtereignis, das Ergebnis ein Gesamtkunstwerk. In dem Zusammenklang von architektonischer und plastischer Form und Farbe wurde ein Ausdruck für das geistige Leben, das sich in dem Gebäude vollziehen sollte, gefunden. Dafür war der für eine plastische Geststaltung offene, aber eben auch verletzliche Baustoff Holz ideal.
Das neue Goetheanum sollte aus dem damals gerade erst verfügbaren Stahlbeton errichtet werden. Damit gehört dieser Bau zu den avantgardistischen Bauten der anbrechenden Moderne. Die Planung und Ausführung bedeutete schon als Konstruktionsleistung, neben der Aufgabe, Anthroposophie in den Formen zum künstlerischen Ausdruck zu bringen, eine große Herausforderung.
Gleichzeitig ging Rudolf Steiner auch daran, die Anthroposophische Gesellschaft neu zu gründen, um dem, was äußerlich in die Welt treten sollte, das entsprechende Fundament mitzugeben. Rudolf Steiner bereitete deshalb über das Jahr 1923 die Neugründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft vor, die dann zu Weihnachten erfolgte.
Aber auch die Ausweitung der Anthroposophie in die Lebensfelder erforderte einen großen Einsatz Rudolf Steiners.
Er war seit Anfang des Jahres 1924 gesundheitlich sehr geschwächt. Trotzdem unternahm er Vortragsreisen in die Länder Tschechoslowakei, Niederlande und nach England und hielt Kurse, die zur Begründung weiterer Lebensfelder führten, so einen Kurs zur Landwirtschaft und einen zur
Heilpädagogik.
1922 | 31. Dezember | Zerstörung des ersten Goetheanums durch Brandstiftung |
1923 | 25.12 bis 1.1. | Neugründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft. |
1924 | 7. bis 16. Juni | Landwirtschaftlicher Kurs in Koberwitz (bei Breslau) |
1924 | 25.6. bis 7.7. | Heilpädagogischer Kurs |
1925 | 30. März | Todestag Rudolf Steiners |